Müdigkeit erkennen und vorbeugen
Schon ein kurzer Sekundenschlaf am Steuer kann bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h zu einem über 80 Meter langen Blindflug und somit zum Tod führen.

Müdigkeit am Steuer ist eine der heimtückischsten und am häufigsten unterschätzten Gefahren im Strassenverkehr. Sie entwickelt sich oft schleichend, wird von den Betroffenen in ihrer Tragweite nicht selten verharmlost und kann katastrophale Folgen haben.
Die Fahrtüchtigkeit kann durch Übermüdung ähnlich stark eingeschränkt werden wie durch Alkoholeinfluss. Diese Parallele ist alarmierend, denn während Alkohol am Steuer gesellschaftlich stark negativ bewertet und rechtlich streng geahndet wird, scheint es mehr Akzeptanz dafür zu geben, bei Müdigkeit zu fahren.

Diese Diskrepanz in der Wahrnehmung und im Umgang mit zwei vergleichbar gefährlichen Zuständen verdeutlicht, wie gross der Aufklärungsbedarf ist. Denn: Die neurophysiologischen Beeinträchtigungen durch Müdigkeit sind tiefgreifend und betreffen sowohl kognitive als auch motorische Fähigkeiten.
Distanz, die über Leben und Tod entscheidet
Das dramatischste Resultat von Übermüdung ist der gefürchtete Sekundenschlaf. Dieser tritt oft ohne Vorwarnung ein, die der Fahrer bewusst als solche erkennt, und führt dazu, dass wir die Kontrolle über das Fahrzeug völlig verlieren.

Bereits ein Sekundenschlaf von nur zwei Sekunden bedeutet bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h eine Strecke von 56 Metern im Blindflug. Bei Tempo 130 und fünf Sekunden geschlossenen Augen legt ein Auto sogar 180 Meter ohne Kontrolle durch den Fahrer zurück.
Frühe Warnzeichen (oft ignoriert)
Diese ersten Anzeichen sind oft unspezifisch und werden leicht übersehen oder fehlinterpretiert:
Häufiges, kaum unterdrückbares Gähnen: Eines der bekanntesten und häufigsten Anzeichen.
Augenbeschwerden: Schwere Augenlider, brennende oder schmerzende Augen, häufiges Blinzeln oder das Gefühl, verschwommen zu sehen.
Konzentrationsprobleme: Die Gedanken schweifen ab, es fällt schwer, sich auf das Verkehrsgeschehen zu fokussieren.
Physische Unruhe: Ein Gefühl innerer Unruhe, das Bedürfnis, sich zu bewegen, die Sitzposition häufig zu verändern.
Frösteln: Leichtes Kältegefühl trotz angenehmer Umgebungstemperatur.
Trockene Mundschleimhaut: Ein weiteres frühes Signal, das auf eine veränderte Körperregulation hindeutet.
Akute Symptome (unmittelbare Gefahr)
Wenn diese Symptome auftreten, ist die Fahrtüchtigkeit bereits erheblich eingeschränkt und die Gefahr eines Sekundenschlafs unmittelbar:
Schwierigkeiten beim Halten der Fahrspur: Unregelmässiges Lenken, ein leichtes «Schwimmen» des Fahrzeugs oder das Überfahren von Fahrbahnmarkierungen.
Tunnelblick: Das periphere Sehen ist eingeschränkt, der Blick fixiert sich starr auf die Fahrbahnmitte.
Erinnerungslücken: Fehlende Erinnerung an die zuletzt gefahrenen Kilometer oder an passierte Orte.
Unwillkürliche Geschwindigkeitsänderungen: Plötzliches, unbeabsichtigtes Beschleunigen oder Verlangsamen.
Übersehen von Verkehrszeichen oder Ausfahrten: Die Informationsverarbeitung ist verlangsamt.
Erhöhte Schreckhaftigkeit: Überreaktionen auf normale Verkehrsereignisse.
Muskelzuckungen: Unwillkürliche Zuckungen, auch als hypnotische Zuckungen bekannt, können dem Einschlafen vorausgehen.
Die trügerische Selbsteinschätzung
Ein besonders problematischer Aspekt ist die oft falsche Selbsteinschätzung der eigenen Müdigkeit. Studien zeigen, dass ein signifikanter Anteil der Fahrer (rund 15 %) nicht bemerkt, wie müde sie tatsächlich sind.
Das Einschlafen selbst ist ein abrupter Prozess, der nicht bewusst wahrgenommen oder vorhergesagt werden kann. Die Annahme, durch langjährige Fahrerfahrung Müdigkeit kompensieren zu können, ist ein gefährlicher Trugschluss: Schläfrige Fahrer neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, ähnlich wie Personen unter Alkoholeinfluss.
Angesichts dessen wird die immense Bedeutung präventiver Massnahmen wie ausreichend Schlaf und sorgfältige Pausenplanung überdeutlich. Verstehen Sie bereits frühe Warnsignale als unmissverständliche Aufforderung zum sofortigen Handeln – sprich: Machen Sie schnellstmöglich eine ausgiebige Pause.
Die einzig wirksame Sofortmassnahme: Schlaf!
Die überwältigende Mehrheit der Experten und Studien ist sich einig: Das einzig wirklich effektive Mittel gegen akute Müdigkeit am Steuer ist Schlaf.
Sofort anhalten: Bereits bei den ersten deutlichen Anzeichen von Müdigkeit muss die Fahrt unverzüglich unterbrochen werden. Dies gilt auch dann, wenn das Ziel vermeintlich schon in unmittelbarer Nähe ist. Jede Weiterfahrt erhöht das Risiko exponentiell.
Powernap (Kurzschlaf): Ein kurzer Schlaf von 10 bis 20 Minuten kann Sie für eine gewisse Zeit wieder munter machen.
Kaffee vor dem Powernap: Eine oft empfohlene Strategie ist der Konsum eines koffeinhaltigen Getränks (z.B. starker Kaffee) unmittelbar vor dem Kurzschlaf. Das Koffein benötigt nämlich etwa 20 bis 30 Minuten, um seine Wirkung im Körper zu entfalten.