Geschmacksfrage: Das polarisierende Design des Lotus Europa
Radikales Keil-Design: Die extrem niedrige, breite Form des Europa war für die damalige Zeit revolutionär und spaltet noch heute die Meinungen unter Autofans.

Der 1966 eingeführte Lotus Europa war ein visionäres und radikales Fahrzeug. Er brachte die Philosophie von Gründer Colin Chapman, «Simplify, then add lightness», in Reinform auf die Strasse.
Als erster in Grossbritannien produzierter Mittelmotor-Sportwagen für den Strassenverkehr übertrug er Rennsporttechnologie direkt auf ein Serienmodell. Mit seiner extrem leichten glasfaserverstärkten Karosserie und einem steifen Rückgrat-Chassis wog der erste Europa S1 nur 612 kg.
Kompromisslose Erstversion
Das kompromisslose Design wirkte sich positiv auf die Aerodynamik aus, mit einem beeindruckend niedrigen Luftwiderstandsbeiwert von nur 0.29. Die frühen Modelle polarisierten die Kundschaft jedoch aufgrund ihrer kompromisslosen Bauweise.

So war die Karosserie des S1 für maximale Steifigkeit fest mit dem Chassis verklebt, was Reparaturen bei Unfällen praktisch unmöglich machte. Auf Druck der Automobilversicherungsindustrie wurde die Karosserie ab der zweiten Serie (S2) auf das Chassis geschraubt.
Das reduzierte zwar die Steifigkeit leicht, verbesserte die Reparierbarkeit aber deutlich. Der Lotus Europa durchlief dabei eine bewusste Evolution von einem reinen Rennwagen-Konzept hin zu einem alltagstauglicheren Strassenfahrzeug.
Anpassung des Antriebs
Die ersten Serienmodelle bezogen ihre Kraft aus einem 1.5-Liter-Vierzylindermotor von Renault. Um den Frontantriebs-Motor für die Mittelmotoranordnung des Europa zu nutzen, rotierte Lotus die gesamte Einheit um 180 Grad.
Mit der Einführung des Europa-Twin-Cam im Jahr 1971 wurde das Fahrzeug mit dem bekannten Lotus-Ford-DOHC-Motor mit 1.6 Litern Hubraum ausgestattet. Dieser leistungsstärkere Motor mit 105 PS verwandelte den Europa von einem «flinken» in ein «schnelles» Auto.
Die Krönung dieser Entwicklung war der Europa Special von 1972 mit einer weiterentwickelten «Big Valve»-Version des Twin Cam Motors. Mit stolzen 126 PS und einem 5-Gang-Getriebe von Renault beschleunigte der Europa Special in nur 6.6 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Vom Purismus zum Komfort
Der Europa S1 war der Inbegriff des Purismus: Er hatte feststehende Seitenfenster, nicht verstellbare Sitze und ein minimalistisches Aluminium-Armaturenbrett. Kundenfeedback führte zu geringfügigen Verbesserungen bei den Varianten S1A und S1B.
Die 1968 eingeführte S2-Reihe markierte einen Wendepunkt. Hier wurde das Fahrzeug mit elektrischen Fensterhebern, voll verstellbaren Sitzen und einem mit Teppich ausgelegten Interieur ausgestattet.

Diese Zugeständnisse an Komfort machten das Fahrzeug für eine breitere Kundschaft zugänglicher und führten zu deutlich höheren Verkaufszahlen. Ein Höhepunkt im Marketing war die John Player Special (JPS) Edition von 1972, die den Formel-1-Erfolg von Lotus feierte. Die ikonische Lackierung in Schwarz mit goldenen Nadelstreifen wurde zum Markenzeichen der späten Europa-Modelle.
Das bleibende Erbe eines Pioniers
Das Fahrerlebnis im Europa wird von Enthusiasten als unvergleichlich beschrieben. Die extrem niedrige Sitzposition vermittelt ein Gefühl wie in einem Rennwagen, und das Handling wird oft mit dem eines Formel-Fahrzeugs verglichen.

Das geringe Gewicht, der niedrige Schwerpunkt und das rennsporterprobte Fahrwerk sorgen für ein direktes und präzises Fahrverhalten. Allerdings gehen diese Stärken mit Kompromissen einher:
Das Ein- und Aussteigen kann aufgrund der niedrigen Dachlinie umständlich sein, und die breiten Heckstützen schränken die Sicht nach hinten deutlich ein. Der Lotus Europa bleibt ein faszinierendes Automobil, das die Vision eines strassentauglichen Rennwagens verkörperte. Sein Vermächtnis beeinflusste nachfolgende Lotus-Modelle und festigte den Ruf der Marke für Leichtbau und herausragende Fahrdynamik.