Chinas Aufstieg zur Auto-Weltmacht

Alexander Scherer
Alexander Scherer

Am 30.07.2024 - 15:41

In nur 10 Jahren ist China zu einer führenden Autonation geworden – insbesondere bei E-Fahrzeugen scheint der chinesische Vorsprung mittlerweile uneinholbar...

Flagge der Volksrepublik
Dank staatlicher Steuerung zum Wirtschaftsriesen: China - Depositphotos

Wer hätte das geahnt? Noch vor 30 Jahren war China automobiltechnisch betrachtet auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Heute verfügt das Reich der Mitte über ein 180.000 Kilometer grosses Autobahnnetz – ein Vielfaches der Schweiz und Deutschland.

Inzwischen setzt der Drache so sehr Europa zu, dass die EU Strafzölle – nach dem Vorbild der USA – auf chinesische Elektrofahrzeuge ins Spiel bringt. Der Verband der deutschen Automobilindustrie warnt allerdings vor dem «enormen» Schaden, der durch Chinas Vergeltungsmassnahmen drohe.

Xi Jinping, chinesischer Präsident
Der Mann hinter Chinas ungebremsten Aufstieg zur Auto-Weltmacht: Präsident Xi Jinping - Depositphotos

Die Europäer fürchten ein «Gemetzel». Die Frage bleibt, wie lange noch die europäische Autoindustrie diesem Druck standhalten kann – und wird sich der drohende Handelskrieg noch stoppen lassen? Ist das der Anfang vom Ende der deutschen und europäischen Automobilindustrie?

Die entscheidende Rede Jinpings

Der Mann, der hinter dieser erdrückenden Dominanz steht, ist Xi Jinping. Vor über 10 Jahren hielt der chinesische Präsident seine wegweisende Rede zu Chinas neuem Seidenstrassen-Projekt. Bestandteil dieses Projektes sollte auch der Aufstieg zum globalen Automobil-Player sein – inklusive dem Anspruch, weltweit führend bei der Produktion von Elektroautos zu werden.

Heute hat China diesen Anspruch nahezu vollständig verwirklicht: Der Anteil Chinas an der weltweiten PKW-Produktion betrug 2023 fast 39 Prozent.

Das erscheint umso bedeutsamer, wenn man bedenkt, dass noch vor 10 Jahren China keine nennenswerte Konkurrenz für europäische und amerikanische Hersteller war. Damals verkaufte man lediglich um die 75.000 Elektrofahrzeuge im Jahr.

Chinas staatlich subventionierte Aufholjagd

Xi's Rede markiert einen Meilenstein und Etappe in einer Aufholjagd, die erst durch eine beispiellose Subventionspolitik möglich wurde: Konsequent investierte der chinesische Staat Milliarden in Lade-Infrastruktur und Batterieproduktion.

Experten des US-Think-Tank CSIS schätzen den Aufwand an Subventionen seit 2009 bis 2023 auf 230,8 Milliarden US-Dollar ein. Die Öffnung des chinesischen Marktes für westliche Autobauer erscheint in der Rückschau heute umso kalkulierter.

Montageband, Qiuantu Motors, Suzhou, Jiangsu-Provinz, China
Chinesische Arbeiter montieren den Elektro-Roadster Qiantu K50 auf dem Montageband von Qiantu Motors in der Stadt Suzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu. - Depositphotos

Die Hersteller besorgten den Know-How-Transfer, die Partei stellte das Geld bereit. In diesem Kontext erwies sich sogar Teslas Einstieg in den chinesischen Markt als Brandbeschleuniger, denn die chinesischen Konkurrenten mussten lernen, mit dem bisherigen Branchenprimus Schritt zu halten.

Hier einige Meilensteine, die erreicht wurden:

- Mit 9,5 Mio Fahrzeugen war China 2023 der grösste Markt für Elektroautos weltweit

- China stieg zum weltweiten Nr. 1 Auto-Exporteur auf mit 4,14 Mio. Autos, davon 1,55 Mio E-Fahrzeuge

- VW wurde von BYD als meistverkaufte Automarke in China abegelöst

Bei den E-Auto-verkäufen hängte BYD sogar den Branchenprimus Tesla im vierten Quartal '23 ab.

Deutsche Hersteller kämpfen auf dem chinesischen Markt ums Überleben

Inzwischen ist der chinesische Markt zum grössten Automarkt der Welt geworden – und die Bedingungen auf ihm sind unerbittlich für ausländische Hersteller. Volkswagen muss förmlich um sein Überleben kämpfen.

2023 BYD Seal U DM-i
Inzwischen hat BYD auf dem heimischen Markt erfolgreich VW an der Spitze abgelöst und setzt nun zum Generalangriff auf Europa an. - BYD

Im April beklagte Vorstandsmitglied Rolf Brandstätter auf der Auto-China, zuständig für das China-Geschäft, den zunehmenden Preisverfall: VW müsse dringend handeln um seine Position in China halten zu können. Das dürfte schwierig werden, denn auch Experten sehen VW's Überlebenschancen auf dem chinesischen Markt skeptisch.

Schon nächstes Jahr soll mindestens jede zweite verkaufte Neufahrzeug ein E-Auto sein, so «China Daily». Dieser Druck macht VW deutlich zu schaffen, denn der Anteil an den Verbrennern sinkt; 2023 betrug VW's Anteil noch 14,5 Prozent am chinesischen Automarkt – Tendenz sinkend.

Chinesische Autos sind innovativer: das «China-Tempo»

Erst Anfang Juli erschien eine Studie des Branchenexperten Stefan Bratzel: Sie belegt wie die deutsche Konkurrenz zunehmend den Anschluss verliert, förmlich dem «China-Tempo» hinterherhinkt – China dagegen baut seine Führungsrolle in Sachen Innovation zunehmend aus.

ID. CODE, 2024
VW schwächelt auf dem chinesischen Markt: Abhilfe soll die vollelektrischen Submarke ID.UX schaffen - die neue Designsprache zeigte VW mit dem ID. CODE auf der „Auto China 2024“ - Volkswagen

In Prozenten gemessen fielen somit rund 46 Prozent der globalen Innovationsstärke auf China, während die deutschen Autobauer zugleich von 45 Prozent auf rund 23 Prozent zurückgefallen sind. Noch 2019/2020 lag der Anteil der Chinesen bei 21 Prozent.

Im Ranking 2022/23 haben sie deutsche Hersteller nun erstmals überholt. So befinden sich in den Top-Ten der innovativsten Hersteller inzwischen erstmals fünf chinesische Firmen. Einzig BMW behauptet sich an der Spitze dank vieler innovativer Neuheiten.

Der Volkswagen-Konzern landet nur noch auf Platz sechs. Erschreckend: Weder Tesla, GM oder Ford sind noch in den Top-Ten dabei; auch die Opel-Mutter Stellantis fehlt.

Zollstreit ist Déjà-vu für Europa

Die Studie belegt eine «tektonische Verschiebung» der Machtbalance Richtung China. Das zwinge im Prinzip die deutschen Hersteller dazu, mehr Innovationskraft zu zeigen, um sich weiter behaupten zu können. Zumal auch sie gerade in Punkto Preisnivau teurer bleiben werden als ihre chinesischen Pendants.

So wähnt sich die Europäische Union längst in einem Déjà-vu-Erlebnis. Hatte China erst mit seiner unfairen Subventionspolitik Europas Solar-Start-Ups niedergekämpft, so scheint sich das Gleiche jetzt mit der Automobilindustrie zu wiederholen.

Fazit

Für China ist die Eroberung des weltweiten Automobilmarktes eine Prestigefrage geworden. Experten sind sich einig: Selbst die Nachteile eines Handelkrieges für die chinesische Wirtschaft wäre Xi bereit in Kauf zu nehmen, nur um gegenüber dem Ausland Stärke zu zeigen.

Eine Beleg, das Gesichtwahrung und Ideologie für Xi Jinping in erster Linie entscheidend sind. Chinas Strategie ist langfristig angelegt, bereit auch kurzfristige Schwierigkeiten zu akzeptieren. Die Verlegung von Lieferketten nach China, die wachsende Innovationskraft und die steigende Qualität (made in China ist längst kein K.O. Kriterium mehr) werden die chinesiche Dominanz zementieren.

Ob China allerdings hierzulande so erfolgreich sein kann, wie zuhause oder in der sonstigen Welt bleibt eine spannende Frage. Zu sehr sind die jeweiligen automobilen Traditionen gewachsen. Wenn es Europas Autoindustrie gelingt innovations- und konkurrenzfähig zu bleiben, werden sich sicher auch in Zukunft europäische Käufer bevorzugt für heimische Marken entscheiden.

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